|
[217] Vom Gebirge strömte das Verderben –
Ins Gefilde weit und breit,
Saat und Blumenkeime wollten sterben
Unterm Wasserwogenstreit,
Zarte Lämmer, junge Busenkinder
Heischten Rettung aus der Fluth –
Hungerleiden brüllten magre Rinder,
Die des Landmanns einzig Gut
In der niedern Armuthehütte waren,
Größer schien die Wassersnoth
Als ein Feldzug fremder Kriegesschaaren,
Der mit Schwerd und Feuer droht
Und mit Plünderung dem platten Lande,
Das sein Rauschen hört und zagt,
Wenn der Zug vom äußern Gränzenrande
Schrecken vor sich hergejagt –[217]
Jenem Waffenrasseln widerstehet
Heldenklugheit, Heldenmuth;
Aber wenn sich fürchterlich erhöhet
Ausgetretner Ströme Wuth,
Kann der König selber nicht gebieten,
Der mit siegesreicher Hand
Sieben Jahre lang dem Waffenwüten
Vieler Feinde widerstand.
Rettung nur war möglich, war zu wagen,
Und wenn sie gelang, alsdann
War kein Dichter stark genug, zu sagen
Wonne, die der Held gewann.
Leopold, ein junger, Menschenlieber
Guelfensohn, hat es gewagt –
Menschlich Mitleid riß ihn mächtig über
Alle Warnung laut gesagt.
Ueber alle Todesfurcht erhaben,
Sprang er in den Kahn, und sprach:
»Rudert rüstig fort, ihr Schifferknaben,
Folgt der Jammerstimme nach,
Die so kläglich Hülfe fodert drüben,
Hört die Todesangst und eilt!
Schon zu lange seyd ihr kalt geblieben,
Habt zu lange schon geweilt,[218]
Habt nur hier die Wellen angegaffet,
Die der Brücke Halbtheil schon
Angegriffen und hinweggerasset –
Fürchtet nicht dies Wasserdrohn,
Ich bin Mensch, wie ihr zur Welt gekommen,
Wagt doch, was ich wagen kann,
Seht, da wo die Häuser weggeschwommen,
Kommts auf Menschenrettung an –«
Also sprach der Fürstensohn und brannte
Von Begierde, da zu seyn,
Wo sich zu dem Sturmgebieter wandte
Nothgedrängter Menschen Schreyn.
Bald hinüber war die Fahrt gelungen,
Als ein Windstoß sie ergriff,
Ach, von einer Welle Wuth gedrungen,
Scheiterte das kleine Schiff
An der Wurzel einer alten Weide
Und die wilde Fluth verschlang
Frankfurts Stolz und Ruhm und Augenfreude!
Mit dem Wassertode rang
Leopold nur wenige Minuten.
Seine Seele stieg empor
Schöner als durch vieler Wunden Bluten
In der Heldenseelen Chor –[219]
Und die Bürger und die Musensöhne
Und die Kriegesmänner all
Klagen Ihn, und ihre Klagetöne
Wiederholt der Wiederhall,
Daß es alle Lüfte hören müssen,
Und ein Künstler groß und mild1
Macht der Folgezeit die That zu wissen
Durch der Thatbeginnungs-Bild.[220]
1 Herr Daniel Chodowiecky.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1792)
|
Buchempfehlung
Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben
84 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro