Acktaeon

[8] Romanze


Auf einem alten Rittersitz,

Den seine Ahnen sich erlasen,

Regierte einst Herr Acktaeon,

Ein Wütrich gegen Hasen.


Erstaune Nachwelt, welch ein Geist

Herr Acktaeon gewesen!

Er konnte schon im zwölften Jahr

Den Abendseegen lesen.


Mama zerfloß in Freude schier,

Als ihm von seinem Bogen

Tief in des schönsten Fuchses Herz

Die ersten Pfeile flogen.


Papachen lobte sein Talent,

Und pflegte oft zu sagen,

Dies Söhnchen sey ihm sicherlich

Nicht aus der Art geschlagen.


Er sollte Fräulein Adelheid

In wenig Wochen freyen.

An ihrem Busen dacht er sich

Der Liebe recht zu weyhen.


Du armer Junker Acktaeon!

Die Grausamkeit der Götter

Versagt dir ihren Necktarkuß,

Und Hymens Myrthenblätter.
[8]

Ihm winkte einst ein Silberbach,

Der durch ein Wäldchen hüpfte,

Als er ermattet von der Jagd

In kühle Schatten schlüpfte.


Er trippelt hin, und staunt zurück –

Napaeen, Oreaden,

Und selbst Dianen sah er sich

In diesem Bache baden.


Die Damen wurden feuerroth,

Und sanken rauschend nieder.

Mit beiden Händen tappten sie

Nach ihrem Rock und Mieder.


Diana aber, Wuth im Blick,

Nahm Waßer, und besprützte

Den Junker, dem die Lüsternheit

Aus beiden Augen blitzte.


Man seh einmahl! Ein Hirschgeweyh

Von mehr als sechzehn Enden

Bekrönt sein Haupt; ein braunes Fell

Umhüllet seine Lenden.


Mit langen Beinen setzet er

Durch Büsche und durch Hecken,

Gafft furchtsam um sich her, und will

Im Walde sich verstecken.


Er tanzet seufzend durch den Hayn;

Hier liegen seine Hunde;

Die springen zu, und tödten ihn

Durch manche tiefe Wunde.
[9]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 8-10.
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