41. Die Dorfjugend

[284] 1. April 1790.


Horch, der Küster beiert,

Mädchen, weiß und zart:

Morgen wird gefeiert,

Denk' ich, Himmelfahrt.

Dann ist keine Schule,

Dann wird Rad und Spule

Samt dem Zeichentuch verwahrt.


Glatt im Sonntagsjäckchen

Mußt du morgen sein,

Buntgewirkt das Röckchen,

Tuch und Schürze fein;

Und die blanke Mütze

Samt den Schnallen blitze,

Wie du gehst, im Sonnenschein.


Längs dem Kirchengange

Gafft dich alles an:

Seht die schmucke Lange!

Seht, sie wächst heran!

Selbst der Pfarrer bücket

Fromm das Haupt, und blicket,

Was sein Auge blicken kann.
[284]

Aber ich, dein Lieber,

Ist das Wetter schön,

Werde gegenüber

Auch im Schmucke stehn,

Und bei Saitenklange,

Predigt und Gesange,

Dich nur hören, dich nur sehn.


Nachmittags dann holen,

Liebchen, du und ich,

Sträußer von Violen,

Kränz' aus Möserich;

Und wo grün von Zweigen

Junge Mai'n sich neigen,

Lagert man am Hügel sich.


Schön in Strauß und Kranze,

Schön wie eine Braut,

Folgst du mir zum Tanze

Sittsam und vertraut:

Da wird frisch gesungen

Und herumgesprungen,

Nach des blinden Fiedlers Laut.


Mit Gekreisch und Juchen

Schwärmt des Dorfs Gewühl

Dann um Nüß' und Kuchen

Und ein Pfänderspiel.

Aber, kleine Dirne,

Gieb mir acht, ich zürne,

Küssest du mir allzu viel!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 284-285.
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