94. An den Kronprinzen von Dänemark

[169] 1792.


Noch nie erscholl ein Name der Mächtigen

Zu meiner Leier, Jüngling; ich weihte sie

Den Freunden nur und Gott, und süßem

Häuslichen Glück, und der Liebe Thränen,


Und dir, Natur, im Hain und am Meergestad',

Und dir, o Freiheit! Freiheit, du Hochgefühl

Der reinen Seelen! Deinen Becher

Kränzt' ich mit Blumen des kühnen Liedes!


Und werd' ihn kränzen, weil eine Nerve mir

Noch zücket! werd' ihn kosten mit zitternder

Und blauer Lippe, wenn des Todes

Hand mir ihn reichet in hehrer Stunde.


Nun wind' ich junge Blumen im Kranze dir,

O Jüngling, weil du früh es nicht achtetest

Zu herrschen über Sklaven, weil du

Forschetest, hörtest, beschlossest, thatest!


Das Joch des Landmanns drückte Jahrhunderte;

Du brachst es! Hör' es, heiliger Schatte du

Von meinem Vater, der das Beispiel

Diesseit der Eider, und dann am Sund gab.
[170]

Du brachst es, Jüngling! wandtest errötend dich

Vom Dank des Landes, sahst auf dem Ocean

Der Handlung Bande, die des Neides

Hand und der Habsucht im Finstern knüpfte.


Zerrissest leicht wie Spinngewebe sie,

Daß nicht die stolze Fichte des Normanns mehr

Dem Bruderhafen huldigt, eh sie

Schwellende Segel dem Ostwind öffne.


Nicht gleiche Gaben spendet des Vaters Hand

Den Völkern; Eisen starret im Schachte dort,

Hier wanken Ähren, unsers Tisches

Freude gedeihet auf fernen Bergen.


Zum freien Tausche ladet der Vater ein;

Doch schmiedet, hart und klügelnd, der blinde Mensch

Dem Tausche Zwang; der biedre Normann

Kaufte sein Brot auf verengtem Markte.


Nun reifen fremde Saaten für ihn, wenn früh

Erwacht der Winter auf dem Gebirge sich

Ausstrecket, und von starrer Schulter

Glänzende Flocken in Thäler schüttelt.


Ich sah dich handeln, Jüngling, und freute mich

Doch nur mit halber Freude! Lud Danien

Nicht häufend noch auf seine Schulter

Fluch des zertretnen, zerrißnen Volkes,


Uneingedenk der heiligen Lehren, und

Für jene Ader fühllos, die Gottes Hand

Im Herzen spannte, daß sie klopfend

Unrecht und Recht und Erbarmen lehre?
[171]

Von Menschen kaufte Menschen der Mensch, und ward

Ein Teufel! – Wer vermag den getrübten Blick

Zu heften auf des armen Mohren

Elend und Schmach und gezückte Geißel?


Aufs schwangre Weib, das jammernd die Hände ringt

Am krummen Ufer? – Thränenlos starret sie

Dem fernen Segel nach; noch schallt ihr

Dumpf in den Ohren das Hohngelächter


Des Treibers, noch der klirrenden Kette Klang,

Und ihres Mannes Klage, das Angstgeschrei

Der jüngsten Tochter, die der Wütrich

Ihr aus umschlingenden Armen losriß. –


Du setzest Ziel dem Greuel, ein nahes Ziel!

Errötend staun' und ahme dein Beispiel nach

Der Britte, will er wert der Freiheit

Sein, die auf Weisheit und Recht sich gründet.


Gott setze deinen Tagen ein fernes Ziel,

O Jüngling! keins dem Segen, der dein einst harrt!

Sei deinen Tausenden noch lange

Bruder! Nur einer ist aller Vater!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 169-172.
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