Es geistert im Schloß

[152] So friedlich wie der Abend war der Morgen, der ihm folgte, nicht. Da gab es gleich in aller Herrgottsfrühe ein lautes Rennen, Rufen und Klingeln im Schloß. Sogar Kasperle hörte es in seinem Turm. Das witschte ein paarmal durch den Schrank, lauschte hinaus, flitzte ängstlich wieder zurück, wenn es jemand kommen hörte, aber immer verhallten die Schritte in der Ferne. Endlich, endlich, Kasperle dachte schon, es hätte hundert Jahre nichts gegessen, kam Veit und brachte ihm das Frühstück.

Der gutmütige Bursche sah sehr verärgert drein, und als ihn Kasperle ängstlich ansah, brummte er: »Nun kommt sie doch schon wieder!«

»Wer denn?« fragte Kasperle und sah nach der Türe; es dachte, irgend jemand müßte da hereinspaziert kommen.

»Die Prinzessin Gundolfine«, brummte Veit. »Na, du armes Kasperle, da nimm dich nur in acht!«

Kasperle sah nun wirklich so bestürzt drein, als sei ihm nicht allein seine Milchtasse, sondern noch alles mögliche sonst in den Brunnen gefallen. Es vergaß sogar das Frühstück.

»Ja, ja«, knurrte Veit, »da staunste! Zum Freuen ist's auch nicht, und ich glaube, der Herzog wünscht seine liebe Base auch lieber ins Pfefferland. Heute mittag kommt sie schon. Nun flink, iß dein Frühstück und laufe in den Park! Wer weiß, ob du es morgen noch darfst.«[152]

Da schluckte Kasperle selbst für ein Kasperle ungeheuer geschwind alles hinab, was Veit gebracht hatte, und dann flitzte es die Treppe hinab in den Park hinein. Niemand sah es, und als es am Bächlein anlangte, saß wirklich das traurige Marlenchen schon da.

»Die Prinzessin kommt«, schrie Kasperle.

Die Kleine wurde totenbleich, und ehe sich Kasperle noch auf ein zweites Wort besonnen hatte, rannte sie schon weg. Sie flog mehr, als sie ging, und Kasperle blieb nichts weiter übrig, als Purzelbäume hinter ihr her zu schlagen, um sie einzuholen. Es schrie zwar immer: »Bleib doch, bleib doch!« Aber Marlene hörte in ihrer Angst vor der Prinzessin gar nicht darauf.

Endlich erwischte sie Kasperle an einem Zipfel ihres weißen Kleides, und da sank die traurige Marlene wie eine kleine, blasse Blume ins Gras. Kasperle dachte wirklich, sie wäre gestorben, und erhob ein lautes Zetergeschrei.

Zum Glück hörte es niemand, und die blasse Marlene öffnete nach einigen Minuten wieder ihre Augen. Sanft bat sie: »Mußt nicht so schreien, Kasperle!«

Gleich war es muckstill. Es sah Marlenchen mit seinen schwarzen Glitzeräuglein aber so traurig an, daß die Kleine ihm sanft über den Kopf strich. »Die Prinzessin, die böse Prinzessin!« Und sie seufzte tief.

»Aber sie kommt doch erst heut mittag!«

Marlenchen richtete sich verwundert auf. Es hatte gemeint, die Prinzessin liefe hinter Kasperle drein, und es sagte sanft: »Warum hast du denn dann so geschrien?«

»Aber sie kommt doch!« rief Kasperle kläglich.

Ja, sie wollte kommen. Trübselig genug war es den beiden[153] zumute. Sie gingen langsam über die große Wiese nach dem Bächlein zurück, und Marlenchen sagte traurig: »Wenn sie kommt, darf ich nicht mehr am Bach sitzen.«

»Ich graule sie fort«, schrie Kasperle und machte sein Teufels- und Hexengesicht zu gleicher Zeit.

Das sanfte Marlenchen erschrak. Ganz leise sagte es: »Du mußt nicht so bös sein, Kasperle.«

»Ich graule sie doch fort!« schrie Kasperle zornig.

»Wie denn?«

Da schwieg der kleine Schelm. Er wußte noch nicht wie, aber er wußte, etwas würde ihm schon einfallen, und trotzdem die sanfte Freundin ein paarmal mahnte, keine Dummheiten zu machen, blieb er doch dabei: »Ich graule sie fort.«

Und dann saßen die beiden ungleichen Kameraden lange am Bächlein, erzählten sich dies und das, sprachen wieder vom Waldhaus, und viel zu früh ertönte des Haushofmeisters Pfeife.

»Jetzt ist sie vielleicht schon da«, flüsterte Marlenchen scheu.

»Ich geh' nicht!« Kasperle blieb auf seinem Stein sitzen. Die Pfeife grillte und schrillte, es rührte sich nicht.

»Geh doch!« mahnte Marlenchen.

»Nä!« knurrte Kasperle wie ein kleiner Bär.

Tirillili, tirillili!« tönte die Pfeife. Kasperle rührte sich nicht.

Da kam Veit schließlich angelaufen. »Kasperle, Kasperle, wo bleibst du denn?«

»Ich komme nicht«, schrie Kasperle patzig.

Aber da hatte es sich in Veit verrechnet. Der kam mit langen Schritten herbei, packte das Kasperle und[154] trug es ohne weiteres nach dem Schlosse. Nicht einmal recht Abschied nehmen konnte es von dem traurigen Marlenchen.

Das verdiente in dem Augenblick seinen Namen wirklich. Tieftraurig sah es dem lustigen kleinen Kameraden nach, bis es ihn nicht mehr erblicken konnte. Und als es mit gesenktem Kopf heimging, da sagten die Wiesenblumen zueinander: »Wie seltsam, es fallen Regentropfen, und der Himmel ist doch so blau.« Die Regentropfen aber waren des traurigen Marlenchens bittere, bittere Tränen.

Inzwischen gelangte Kasperle doch noch rechtzeitig in das Schloß. Und gerade als sich der Herzog zum Mittagessen hinsetzen wollte, rumpelte und rasselte es draußen, die Prinzessin kam angefahren. Ein paar Minuten lang lief und rief alles durcheinander. Der Herzog seufzte erschrecklich tief, denn ihm gefiel der Besuch gar nicht. Das Kasperle stand ganz verdattert herum, da schüttelte es jemand und raunte ihm zu: »Marsch, lauf in deinen Turm! Sonst gibt es gleich Zank und Streit, wenn dich die Prinzessin erblickt.«

Der Haushofmeister war es. Kasperle ließ sich das nicht zweimal sagen. Es rannte davon und kam dabei durch das Anrichtezimmer. Dort standen allerlei schön verzierte Speisen, Schüsseln mit Kuchen und dergleichen, und Kasperle dachte: Davon bekomme ich nun nichts. Plötzlich blieb es stehen, eine feine rosenrote Torte hatte es ihm angetan, und eins, zwei, drei nahm es die Torte und trug sie in seinen Turm hinauf. Es war beinahe oben, da traf es jemand; der gute, dicke Oberstallmeister war es. »Potz Wetter«, rief der, »wo willst du denn mit der Torte hin? Bist du Küchenjunge geworden?«[155]

»Nä!« stammelte Kasperle und schielte den freundlichen Herrn scheu an. »Ich – ich will sie essen!«

»Die ganze Torte?«

Kasperle sah den Oberstallmeister an, sah die Torte an und dachte: Sie langt schon für beide. Es sagte das auch ganz treuherzig, und der dicke Herr lachte herzhaft darüber. Weil er aber auch schon einen rechtschaffenen Hunger hatte und wußte, daß nun noch einige Zeit bis zum Mittagessen vergehen würde, rief er: »Kasperle, du bist ein ganz Schlauer. Aber meinetwegen, wir essen die Torte zusammen.«

Und dann setzten sie sich auf die Turmtreppe, der Oberstallmeister nahm seinen Säbel, schnitt die Torte mitten durch, und dann schmausten sie höchst einträchtig zusammen. Danach war Kasperle halbsatt, der Oberstallmeister pumpelsatt, und als sie sich trennten, hatte Kasperle einen neuen Freund im Schloß gewonnen.

Kasperle stieg sehr vergnügt in seinen Turm hinauf, kletterte auf das Fensterbrett und sah sich die Welt von oben[156] an. Dabei sah es seitlich ein Stockwerk tiefer eine Anzahl Fenster offenstehen, die sonst geschlossen waren. Und wie es so hinsah, steckte aus dem einen jemand seinen Kopf heraus und – das war die Prinzessin Gundolfine. Kasperle purzelte vor Schreck in seinen Turm zurück. Eine ganze Weile lag es da und schnappte nach Luft, so arg war es erschrocken.

Aber Kasperle war eben ein zu dummen Streichen und Schabernack aufgelegtes Kasperle. Das dachte den ganzen langen Nachmittag an weiter nichts als daran, der Prinzessin als Gespenst zu erscheinen. Niemand kümmerte sich um den Kleinen; zu Tisch wurde er nicht geholt, der Herzog wollte ihn am liebsten seiner Base nicht zeigen. Zu essen brachte ihm auch niemand etwas; weil der Oberstallmeister dem Haushofmeister von der Torte erzählte, dachte der: Das muß reichen bis zum Abendessen.

Hunger hatte Kasperle auch nicht, aber Langeweile. Es flitzte immer wieder zu seinem Schranktürchen hinaus, und da unten alles ganz, ganz still blieb, wagte es sich endlich[157] weiter, geriet bei seinem Herumsuchen auf den Schloßboden. Da gab es Türe an Türe, gab große, offene Kammern. Kasperle steckte überall seine Nase hinein, und als es einmal aus einer Fensterluke blickte, sah es, daß es gerade über dem Zimmer der Prinzessin war.

»Hach!« Kasperle kreischte ganz laut, und dann sah es sich erschrocken um. Der weite, leere Raum gab das Echo laut zurück, und Kasperle fürchtete sich ein paar Augenblicke schrecklich. Dann merkte es aber, es war niemand da, nur ein Mäuslein huschte eilig an ihm vorbei. Der kleine Schelm sah sich um. In einer Ecke entdeckte er eine Anzahl Stangen, aber als er eine zum Fenster hinausstreckte, merkte er wohl, sie reichte nicht bis an das Zimmer der Prinzessin. Kasperle flitzte in allen Winkeln und Ecken herum, und da fand es endlich eine lange, lange Waschleine. Gerade als es die gefunden hatte, meinte es von weitem Schritte zu hören. Es lief also eiligst in seinen Turm zurück und war kaum ein paar Minuten darin, als Veit kam.

Kasperle saß ganz brav und bieder auf dem Fensterbrett und schaute hinaus, und Veit hatte tiefes Mitleid mit dem kleinen Kerl. »Armes Kasperle«, sagte er, »gelt, das ist ein langweiliges Leben?«

Kasperle nickte eifrig, aber als Veit in seine Glitzeräuglein sah, sagte er plötzlich: »Kasperle, mach keine Dummheiten! Du schaust recht wie ein Schelm und Dummheitenmacher drein.«

Da glitt Kasperle vom Fenstersims herab und hängte sich schmeichelnd an Veits Arm, und der streichelte den Kleinen, versprach ihm allerlei gute Dinge zum Abendessen und sagte, heute dürfe er noch nicht herabkommen,[158] der Herzog habe Angst, die Prinzessin Gundolfine könnte sich zu sehr aufregen. »Also sei brav!« mahnte Veit noch.

Der Kleine gab keine Antwort, er dachte mehr ans Unnütz- als ans Bravsein, und Veit dachte: Na, der stellt doch noch etwas an! Freilich, aus dem Turmzimmer kam er nicht heraus. Von dem geheimen Türlein, das der gute alte Haushofmeister dem Schelm verraten hatte, ahnte Veit nichts.

Ein wenig später brachte er wirklich das Abendessen. Kasperle schmauste und legte sich in sein Bett. Veit deckte es noch zu, und dann verschloß er sorgfältig die Türe, brachte den Schlüssel dem Herzog, und der zeigte ihn seiner Base und sagte: »Nun siehst du, jetzt ist Kasperle im Turm eingeschlossen. Du brauchst dich also nicht vor ihm zu fürchten.«

»Ein Kasperle ist ein halbes Gespenst«, brummte die Prinzessin, »wer weiß, was es noch anstellt! Ich wollte, es säße im Schloßbrunnen.«

Nach dem feuchten Schloßbrunnen hatte Kasperle gar keine Sehnsucht. Das lag in seinem Bett, strampelte vor Vergnügen und schielte immer wieder hinaus, ob es nicht bald dunkel würde. Als die Dämmerung draußen über dem Lande lag, nahm es das Kopfkissen aus seinem Bett unter den Arm, flitzte durch das verborgene Türlein und huschte in die Bodenkammer. Dort nahm es die längste Stange, band das Kopfkissen daran und versuchte, damit das offene Fenster der Prinzessin zu erreichen. Es langte gerade, weiter nicht. Da zog Kasperle das Kopfkissen wieder hinauf, setzte sich auf die Fensterbrüstung und dachte vergnügt: Nun kann es losgehen.

Das Warten wurde ihm freilich lang, denn die Prinzessin[159] blieb bis spät in die Nacht beim Herzog. Da wurde Kasperle schließlich müde, es kroch in die Bodenkammer zurück, setzte sich auf den Boden nieder und schlief ein.

Als es erwachte, war ringsum tiefe Stille, nirgends ein Laut zu hören. Kasperle schaute zum Fenster hinaus. Unzählige Sterne glänzten am Himmel. Es war eine helle, klare Nacht. Ein paar Fledermäuse huschten lautlos am Bodenfenster vorbei, sonst rührte und regte sich nichts. Da stopfte Kasperle flugs noch etliche Kieselsteine zwischen Kopfkissen und Bezug, und dann steckte es seine Stange zum Fenster hinaus.

Die Prinzessin schlief noch nicht. Sie lag wach und dachte an allerlei; freundliche Gedanken hatte sie nicht, sie wollte den Grafen von Singerlingen recht kränken und sann nach, auf welche Art dies geschehen könnte. Auf einmal rauschte etwas Weißes an ihrem Fenster vorbei, klapp, schlug es an, – weg war es.

Die Prinzessin rief erschrocken und sehr laut nach ihrer Kammerfrau, und das unnütze Kasperle hörte das Rufen, denn das Fenster stand halb offen. Es zog flugs sein Kopfkissen hinauf und lauschte. Unten sah jemand heraus und sagte: »Es ist nichts zu sehen.«

»Schließe das Fenster!« schrie die Prinzessin. Das Fenster klirrte, es war wieder alles still.

Da fing plötzlich die Schloßuhr zu schlagen an, zwölfmal, die Geisterstunde begann.

»Es ist unheimlich«, sagte die Prinzessin gerade unten. Da rauschte draußen etwas Weißes an ihrem Fenster vorbei, schlug heftig an, und sie schrie laut um Hilfe. Die Kammerfrau sah erschrocken hinaus, und da sah sie gerade über sich das Kopfkissen schweben.[160]

»Ein Gespenst, ein Gespenst!« schrie sie, und ein paar Augenblicke später hallten Schreie und Hilferufe durch das Schloß, und Kasperle nahm sein Kopfkissen, so schnell es konnte, und schlüpfte in sein Turmzimmer.

Es kam gerade noch hinein, da klirrten draußen Schritte, und es mußte die lange Stange mit ins Bett nehmen, weil es die Stricke nicht schnell genug davon losbekam. Da wuschelte es sich so in sein Bett, daß nur die Nase heraussah, und tat, als schliefe es ganz fest. Es hörte draußen ein paar Diener sich über die Gespensterfurcht unterhalten, hörte sie auf den Boden gehen und wieder zurückkommen. Wieder war alles still.

Die Prinzessin Gundolfine zeterte und schrie zwar noch eine Weile in ihrem Bett, und die arme Kammerfrau, die vor Angst bebte, mußte noch dreimal zum Fenster hinaussehen; es war aber nichts zu erblicken.

Der Herzog lag in seinem Bett und schalt. Haushofmeister und Diener schalten, und zuletzt schliefen doch alle wieder ein.

Nur Kasperle schlief nicht. Das kugelte sich lachend in seinem Bett herum und hörte draußen die Uhr schlagen: halb, dreiviertel; da witschte es wieder durch den Schrank hinaus, schleppte aber noch seinen Wasserkrug mit und schlich sich wieder in die Bodenkammer.

Die Prinzessin war halb eingeschlafen, da ging es draußen klapp, klapp, etwas Weißes rauschte am Fenster entlang und verschwand wieder. Diesmal sprang die Prinzessin selbst auf und riß das Fenster auf. Es klirrte und krachte, dumpf dröhnte die Uhr, und schwapp, bekam die Prinzessin so ein Güßlein auf den Kopf, daß sie pustend und stöhnend in das Zimmer zurücktaumelte.[161]

Wieder tönten Hilferufe, Jammern, Kreischen; Türen klappten, Schritte hallten, und Kasperle lag gerade wieder in seinem Bett, als es draußen des Herzogs Stimme hörte. Der wollte selbst dem Gespenst zu Leibe gehen. »Kasperle kann es nicht sein, das ist ja eingeschlossen, aber nachsehen will ich doch«, hörte der kleine Schelm ihn sagen.

Der bekam einen argen Schreck. Er zog sich wieder das Bett so fest über die Ohren, daß nur seine Nase herausschaute, und tat, als ob er ganz fest schliefe.

Der Herzog kam in das Turmzimmer, sah Kasperle liegen, ließ ihm ins Gesicht leuchten und murmelte: »Nein, nein, der Strick kann es nicht gewesen sein, aber – ich glaube, der denkt sogar im Schlaf an unnütze Dinge. Hm, hm, merkwürdig!«

Der Herzog ging, der Haushofmeister drehte sich aber noch einmal um, und als Kasperle ein bißchen blinkerte, sah es, wie ihm sein alter Freund drohte.

Aber weder auf dem Boden noch sonst wurde etwas gefunden, nur einer bückte sich rasch und hob etwas auf, die andern sahen es nicht, es war der Haushofmeister.

Und wieder gingen alle in ihre Betten. Bei der Prinzessin mußten aber außer der Hofdame und der Kammerfrau noch drei Mädchen wachen, und alle hatten schrecklich Angst. Sie schliefen aber alle trotzdem ein, und plötzlich wachten alle von einem Zetergeschrei auf, das aber rasch verstummte.[162]

»Jetzt hat das Gespenst geschrien.« Die Prinzessin sah käseweiß aus, und ihre Wächterinnen sahen ebenso käseweiß aus. Sie horchten alle zitternd, aber es blieb alles still. Daß Kasperle oben in seinem Bett lag und bitterlich weinte, dies konnten sie nicht hören.

Kasperle hatte eben gespürt, daß der gute alte Haushofmeister auch einmal einen unnützen Schelm, der nicht hören wollte, tüchtig verwichsen konnte. Es war gerade eingeschlafen, da hatte es unversehens klatsch, klatsch, gespürt, wie weh Schläge tun. Darob hatte es mörderisch gebrüllt. Es verstummte aber gleich, als ihm der Haushofmeister einen Hosenknopf vor die Nase hielt und sagte: »Kasperle, soll ich das dem Herzog zeigen und sagen, den hat das Gespenst verloren?« O lieber Himmel, es ist schon schlimm, wenn einer immerzu Hosenknöpfle verliert! Arg schlimm!

Kasperle schluchzte in sein Bett hinein, und der alte gute Haushofmeister fragte traurig: »Kasperle, warum bist du nur so unnütz?«

»Sie ist böse«, knurrte Kasperle zornig wie ein kleiner wütender Hund.

»Ja, das ist sie. Denk aber auch an den Keller, Kasperle, und an – die Fässer!«

»Ich will's nicht wieder tun«, murmelte Kasperle bedrückt. Daß der gute Haushofmeister aber auch alles herausbekam! Es wurde ihm ordentlich bange vor ihm, und scheu blinzelte es den alten Mann an.

Der mußte ein wenig lachen. »O Kasperle, du Strick«, sagte er, »du machst doch sicher noch mehr Dummheiten, solange die Prinzessin da ist! Jetzt sperre ich aber das Schranktürchen zu, sonst geisterst du noch einmal herum.«[163]

Der Haushofmeister wollte gehen, da griff Kasperle bittend nach seiner Hand, und der alte Mann strich ihm linde über den Kopf. »Armer kleiner Kerl«, sagte er, »warum hat dich unser Herzog nicht in deinem Waldhaus gelassen!«

Kasperle seufzte tief, tief, danach drehte es sich um und schlief wie ein Rätzlein, schlief bis zum sonnigen Morgen. Und als es aufstand, dachte es an keinen Streich mehr, sondern nur daran, wie es wohl heute das traurige Marlenchen treffen könnte.[164]

Quelle:
Herold Verlag, Stuttgart, 1983, S. 152-165.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon