An Corinna

[389] 1807


Von Lieb' und Schmerz verwundet,

Hat wohl dein Geist erkundet

Des Lebens Wonn' und Pein.

Durch harter Willkür Bande,

Getrennt vom Vaterlande,

Fühlt sich dein Herz allein;

Und wenn die Schranke fällt,

Du wieder aufgenommen,

Entfliehst du, ach! beklommen

Aus dieser fremden Welt.


Du sahst des Elends Spuren

Auf jenen schönen Fluren,

Wo alle Künste blühn;

Des Krieges rauhes Wetter

Umstürmt die kühnen Retter,

Die für die Freiheit glühn;[389]

Um schroffer Felsen Riff

Wird schwankend fortgezogen,

Auf wilden Meereswogen,

Im Sturm des Lebens Schiff.


Kühn wachsen Nordens Klippen,

Doch nie entfließt den Lippen

Der holden Freude Laut.

Weh' auch, wer Schmeichellüften,

Des Südens Blumendüften,

Die Sinne hat vertraut.

Es baut der Geist sein Grab

Im Felsen der Gedanken,

Matt fühlt die Seel' erkranken,

Wer sich der Freud' ergab.


O hartes Los der Erde,

Daß nichts vollendet werde,

Ward uns voraus bestimmt.

Kein Sehnen mag es wenden,

Bis aus des Todes Händen

Der Mensch die Heilung nimmt.

Ja, auch der Liebe Glück

Durchleuchtet nur vergebens

Die dunkle Nacht des Lebens,

Läßt einsam uns zurück.


O möchte Trost sich nahen,

Gesang dein Herz umfahen,

Dir gleiten in die Brust!

Laß dir ein Wort verkünden,

Der Hoffnung Licht anzünden,

Von ewig heitrer Lust.

Ja, schon hienieden grünt

Des Himmels sel'ger Garten,

Wer heimlich sein zu warten

In Demut sich erkühnt.


Da gilt kein Schmerz noch Sterben,

Ein jeder mag erwerben

Den milden Friedenskuß.

Da welken keine Blumen,

In diesen Heiligtumen

Quillt neu stets der Genuß.

Was unsre Brust zerstört,[390]

Löst hier sich auf in Wehmut,

Und vor der heil'gen Demut

Flieht, was uns einst betört.


Ja, auch des Nordens Schauer

Entkleiden sich der Trauer,

In sanftem Frühlingsglanz;

Die neubelebten Fluren,

Geschmückt mit Himmelsspuren,

Umflicht der Liebe Kranz.

Es weicht des Nebels Grau,

Das Licht scheint hell und heiter,

Der Blick dringt immer weiter

In das gestirnte Blau.


Die schon im Tod Verlornen

Und die noch Ungebornen

Sind alle liebend eins.

Der Sternenwelten Geister

Sind Glieder auch und Meister

Des irdischen Vereins;

In allen schlägt Ein Herz,

Schlägt hin in freien Wellen,

Hin zu der Liebe Quellen,

Zu löschen jeden Schmerz.


Ja, selig macht der Glauben,

Die Welt mag dem nichts rauben,

Der sich der Lieb' ergibt;

Es blüht ein neues Leben,

Die Himmel niederschweben,

Je inniger man liebt.

Da flieht die Reue weit,

Da mag kein Stachel bluten,

Doch in den ird'schen Fluten

Gilt ewig wüster Streit.


So sterbe denn, was sterblich,

Wirf von dir, was verderblich,

Vergiß das Frevelland;

Es knüpft an alle Seelen,

Die frei das Schöne wählen,

Dich fest ein hohes Band.

Auch steht noch unbesiegt[391]

Der Freiheit Fels im Meere,

Der Zeit zur hohen Lehre,

Daß nie der Mut erliegt.


Soll aber alles sinken,

Kein Licht der Hoffnung winken,

Bleibt die Erinn'rung doch;

Jahrhunderte versanken,

Unsterblicher Gedanken

Gebilde atmen noch!

Und jene ew'ge Stadt,

Umfassend alle Zeiten,

Die sanfter dort entgleiten,

Winkt dir als Ruhestatt.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 389-392.
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