[157] In der morgenweis Hans Sachsen.
30. octob. 1544.
1.
Küng Salomo tut jehen:
»ich went mich, um zu sehen
nach weisheit in der zeit,
nach der klugheit und der torheit.
(wer ist auf ert geseßen
Der dem künig obliege,
mit weisheit obgesiege,
den got, welcher in macht?)
ich hab weisheit ser hoch geacht,[157]
für torheit weit gemeßen;
Gleich wie der sunnen glinster
für die dunkel und finster,
der weis gelanzen muß;
der narr geht in der finsternus;
und ich dacht in meim wandern,
es get eim wie dem andern,
dacht in meim herzen schier;
weil es dem narren get wie mir,
warum hab ich mich quelet?
die weisheit auserwelet?
dacht in meim herzen frei,
das solches alles eitel sei.
des weisen künstenreiche
denkt man nicht ewikleiche,
wie des narren, ich sag,
die weil doch der zukünftig tag
macht beider ir vergeßen.
2.
Und wie der weise stirbet,
gleich auch der narr verdirbet
in der eitelkeit groß;
meins eigen lebens mich verdroß
unter der lichten sunnen;
Und mich verdroß alleine,
das ich der arbeit meine,
die ich volendet hat
in meinem leben frü und spat,
mit unru groß gewunnen,
Das ich die selb dermaßen
eim andren müß verlaßen,
der nach mir kumen wirt;
wer weiß, ob weisheit in regirt?
ob er darin verharre?
villeicht ist er ein narre;
sol forschen mit torheit
in meiner künstlichen arbeit,[158]
die ich weislich zurichtet,
unter der sunnen dichtet,
das ist ie eitel schmerz;
darum so went ich das mein herz,
von aller arbeit ließe,
die ich het mit verdrieße
mein leben lang verbracht,
on ru und rast, bei tag und nacht,
aus meiner weisheit brunnen.
3.
Weil ein mensch nach der zeite
sein arbeit und weisheite,
geschicklikeit und vernunft
gar muß verlaßen in zukunft,
eim andern ungenoßen,
Der nicht arbeit ein stücke:
das ist ie ein bös glücke,
das wirt dem menschen von
seiner arbeit ein schnöder lon;
solt des nit sein verdroßen?
Vil beßer ist geseßen,
frölich trinken und eßen,
dem menschen ane quel,
das stets guter ding sei sein sel
von seiner arbeit schwere.
das kumt vom herren here:
welcher mensch got gefelt,
dem selben er auf ert zustelt
weisheit, vernunft und freude,
das er frolock und geude,
in seiner arbeit blü;
dem sünder geit er sorg und mü,
das er eim andren spare
und er von hinnen fare.«
Ecclesiastes spricht
im andren; und mit dem gedicht
ist mein kunst hie beschloßen.
Buchempfehlung
Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.
114 Seiten, 4.30 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro