Der abenteurer mit dem or

[91] In dem hofton Marners.


7. juni 1536.


1.

Ein abenteurer kame

einsmals gen Frankfurt in die mes,

zu einem seidenkramer er sich stellen was,[91]

der köstlich seiden borten het

feil, unten am Maintor;

In seine hent er name

ein stück borten und fraget des:

»kremer, wie geistu mir ein trum borten und das

mir von einem or reichen tet

bis an das ander or?

Auf das mir mein biret fürhin

der wint nicht werfe in das kot?«

der kremer listig ware,

um ein weißpfennig im das bot,

dacht: »er darf ir nicht über ein elen.« nun secht,

balt gab im diser dare

den weißpfennig, der kauf was schlecht.

der kremer nam die seidenborten bei dem trum

hielt im das an ein or, verstet,

und als er maß hinum –


2.

Das wunder wolt in freßen,

weil er das ander or nit fant.

er sprach: »wo ist das ander or, du dumer tor?«

und in gar ernstiklich anblickt.

der abenteurer sprach:

»Kremer du must mir meßen

gen Ertfurt in das Dürgner lant!

da findst am pranger genagelt das ander or,

alda mirs der henker abzwickt.

miß hin, ich wil hinach.«

Der kremer sprach: »das tu ich nicht.

gen Ertfurt ist wol dreißig meil;

mir kleckten nicht all borten,

die man ietz hat zu Frankfurt feil.

nem dein weißpfennig; der kauf sei dir abgesagt.«

diser mit wenig worten

loff und dem bürgermeister klagt,[92]

der kremer wolt im nit halten bezalten kauf.

nach im der burgermeister schickt.

da war ein groß zulauf.


3.

Der kremer nicht dest minder

beklagt den falschen hinterlist.

der burgermeister sach sie alle beide an,

dacht: »der ein treibt groß triegerei,

der ander ist nit rein;

Wol zwei verbrente kinder:

Eck an den Berner kumen ist.«

der burgermeister gab in zu vier redlich man,

was die sprechen; da bleib es bei

eim fuder roten wein.

Hiebei ein biederman bedenk:

wer kaufen und verkaufen wel,

das er die war tu schauen,

das man in nicht mit überschnel,

weil all kaufhendel stecken großer schalkheit vol;

und welcher wol tut trauen,

dem gret sein kaufmanschaft nit wol,

weil Trauwol hat das roß gar oft geriten hin,

der werd mit fremdem schaden frei

und brauch vernunft und sin.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 91-93.
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