Der Schatz

[35] Im fernen Königreich Leon

Liegt eine Wunderhöhle,

Von der man tausend Jahre schon

Erzählt was ich erzähle.

Die Sage geht: auf diesem Platz

Begrub ein Magus einen Schatz

Von einer Tonne Goldes.


Ihn hätte mancher gern geraubt;

Jedoch ein schwarzer Drache,

Ein Bastart Satans, wie man glaubt,

Hielt vor der Höhle Wache,

Und wollte sich ein Kämpfer nahn,

So ward er stracks an seinen Zahn

Wie ein Kapaun gespießet.


Dieß hörte Junker Theogan

Aus Rhätiens Gebirgen

Und warb zweyhundert Reuter an,

Das Unthier zu erwürgen.

Mit diesem Heere trabt der Held

Drey Monden lang durch Thal und Feld

Und wechselt manchen Gulden.
[36]

Der letzte war bereits verzehrt,

Als er den Ort erblickte,

Und mit den Seinen, wohl bewehrt,

Sich froh zum Kampfe schickte.

Sie fielen mit vereintem Muth

Den Lindwurm an, der Höllenwuth

Aus seinen Augen sprühte.


Doch manches Schwerdt und mancher Spieß

Zerbrach auf seinem Rücken,

Und manchen tapfern Knappen riß

Der Cerberus in Stücken.

Schon war ein Schock des Todes Raub,

Und vierzig ächzten lahm im Staub,

Als Theogan ihn fällte.


Von Blute triefend hob der Held

Den Schatz von seinem Posten:

Er fand an schönem baarem Geld

Just seine Reisekosten;

Und überdieß in einem Schrein

Ein kleines Faß mit Branntewein,

Die Wunden zu verbinden.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 35-37.
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