15. Auff Herrn David Müllers seeligen Abschied

[44] Und bist du auch verblichen,

Mein mehr denn halbes Ich?

Bist du mir auch entwichen

Auff den mein Hertze sich

In Allem so verlassen,

Daß ich ohn Furcht und Scheu

Das Wetter herrschen lassen

In Ansehn deiner Treu?


Was Jederman muß sehen

Und doch nicht reden sol,

Was ist und wird geschehen,

Verursacht, daß man wol

Von guter Zeit und Wesen

Ihm schlechte Rechnung macht;

Doch deinen Tod zu lesen

Hett' ich jetzt nie gedacht.


Wo sind Herr Müllers Schreiben?

Fieng ich als gestern an.

Wo solten sie verbleiben?

Mir ward nur kund gethan,

In allen, welche kamen,

Der sey nun nicht mehr dar,

Der mir ein Freund mit Namen,

Mit That ein Bruder war.


Das Glück und keine Gaben,

Macht mich an Freunden reich

Die hoch sind und mehr haben;

An Treu sind wenig gleich.

O Frau! O Kinder! weynet

Ihr nicht allein umb ihn;

Den er gewiß gemeynet,

Weiß ich, daß ich es bin.


Mir ist zu Ohren kommen,

Wie sehr er meiner sich

Bißher hat angenommen,

Viel mehr als eben ich,

Darauß ich auch gespühret

Deß Hertzens Redligkeit;

Gold wird durch Glut probiret,

Die Freundschafft durch die Zeit.


Ihr Mangel meiner Jugend,

Was meine Lust beginnt,

Ihr Bücher, meine Tugend,

Wo Bücher Tugend sind,

Wer wird euch nun verlegen

So fleissig als wie er?

Wer wird euch jetzund pregen

Zu gehn durch Land und Meer?
[44]

Es wolte mir gehören

Zu dencken auff ein Lied

Zu seines Schwehers Ehren,

Der selig nechst verschied.

Er hat es auch begehret

Und meinen Fleiß vermahnt;

Itzt wird es ihm gewehret;

Das mir wol nicht geahnt.


Er schrieb Viel' zu ergetzen,

Zu thun, was GOTT behagt,

Möcht' ich die Psalmen setzen,

So wie ich zugesagt.

Ich wil es ja vollbringen,

Als freylich mir gehört,

Doch er kan besser singen

Worvon der König lehrt.


Er stimpt zu allen Zeiten

Mit tausend Engeln ein,

Hört ihre schöne Seiten

Und lobet den allein,

Der nicht gelobt wil werden,

Von dem in jener Welt,

Der ihm nicht singt auff Erden,

Was seiner Macht gefellt.


Mein Freund auch in dem Grabe

(Dann Liebe stirbet nicht),

Was schenck' ich dir für Gabe,

Dieweil dir nichts gebricht?

Gefellt dir Leyd und Schmertzen?

Die sind genugsamb hier;

Ein Theil von meinem Hertzen?

Das hast du schon mit dir.


Du hofftest mich zu sehen

Und batest jederzeit;

Hier wird es nie geschehen.

Wil Gott, ich bin nicht weit.

Doch sol ich ferner leben

(Den Tod rufft keiner nicht),

So wil ich dich erheben

Auß steter Liebespflicht.


Jetzt kan ich nichts beginnen,

Mein Trauren macht mich schwach,

Das Leyd bezwingt die Sinnen,

Es leßt der Thränen Bach

Mein Tichten nicht bekleiben,

Weil sie die Reyme wäscht

Und was ich gleich wil schreiben

Mir aus der Tafel lescht.


Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 44-45.
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