13. Herrn David Rhenischen von Breßlau, welcher zu Straßburg auff der Universität gestorben, Grabe-Lied

[40] Die Thränen voller Angst, die Seufftzer manigfalt,

Die Augen roth als Blut, die traurige Gestalt,

Ihr Eltern und die Klagen,

Vor euer treues Kind,

Muß Jederman nur sagen,

Daß sie nicht unrecht sind.


Wir armen Sterblichen, wie gar ein nichtigs Ding

Ist dieses, was wir sind? So bald die Thür auffgieng,

War Freud' an allen Enden,

Auß Hoffnung, euer Sohn

Der würd' ein Schreiben senden;

O nein, er ist darvon.


Er ist hinweg gerafft, der noch vor kurtzer Zeit

Bedacht war spat und frü mit höchster Embsigkeit,

Wie seine gantze Jugend

Recht wol würd' angewand,

Damit er Künst' und Tugend

Brächt' in sein Vatterland.


Er ist hinweg gerafft: ihr hattet schon gedacht,

Ihr würdet, wann ihn Gott gesund anheim gebracht,

Die Augen können weyden

Und ihm entgegen ziehn

In voller Lust und Freuden;

Nein, nein, er ist dahin.


O unglückhaffter Bott', ist diß nun seine Müh?

Ist diß sein Schweiß und Frost, sein Lesen spat unnd früh?

Kein einiges Gesetze

Steht im Justinian,

Das durch das schwartze Netze

Deß Todes reissen kan.


Er ist hinweg gerafft, der Mutter beste Zier,

Deß Vatters grosser Trost, und zwar sehr weit von hier,

So daß sie ihn mit Pflegen

Und Warten nie gelabt,

Auch in den Sarg zu legen

Nicht haben Fug gehabt.


Die Schwester hett' ihm doch noch einen treuen Kuß

Gegeben auff den Weg und letzten Abschiedgruß,[41]

Hett' ihm zum Liebeszeichen

Die Augen zugedrückt

Und seine blasse Leichen

Mit Blumen außgeschmückt.


Es lege sein Gebein' in dieser schönen Statt,

Dergleichen weit unnd breit gantz Teutschland nicht mehr hat,

Es hette sampt den Seinen

Und die ihm sonst bekand,

Auch helffen umb ihn weinen

Das grosse Vatterland.


Nein, der, der über uns sitzt, aller Weißheit voll,

Weiß, wenn er uns hier seyn und nicht seyn lassen soll;

Kein Mensch vermag zu kommen

Ohn ihn auff diese Welt,

Wird auch nicht weggenommen

Als wann es ihm gefellt.


Was hilfft das Weinen dann? Ja, wofür Creutz unnd Pein

Das Leyd und Kläglich-Thun uns kan behülfflich seyn,

So sind die trüben Zehren

Viel werther noch als Gold,

Jetzt, nun sie ihm nicht wehren,

So heißt es nur Gedult.


Er ist der Welt entwüscht, da nichts als Krieg unnd Streit,

Als angeschminckte Lieb', als Haß und grimmer Neyd,

Als Schand' und böse Lüsten

In vollem Schwange gehn

Und Laster, die uns Cristen

Nur nicht zu nennen stehn.


Er schläfft bey Vielen auch, die ewig sind bekand,

Durch Zuthun der Vernunfft und die gelehrte Hand,

Hier wo die Ill' und Breusche

Sich mengen in den Rein

Mit lieblichem Geräusche

Und reich an Früchten seyn.


Er ist auff eine Schul, in der Gott selber lehrt

Solch unerforschlichs Ding, das noch kein Ohr gehört.

Was wir an jetzund kennen

Hat weder Art noch Krafft

Und ist ein Traum zu nennen

Der rechten Wissenschafft.
[42]

Wol dir, du liebe Seel', empfinde deine Lust,

Geneuß der Fröligkeit, die uns noch unbewust,

In die du auffgenommen

Nun bist ohn End und Ziel;

Wir wollen zu dir kommen

Wo, wie und wann Gott wil.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 40-43.
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