28.

[162] Wie Gutempfang nun mildiglich

Den Liebsten führt gar sänftiglich,

Zum Garten um die Ros' zu seh'n,

Die ihm gebracht so arge Weh'n.


Das ward mir kund, nun ging ich schnell

Zum Himmelgarten aus der Höll'.

Und Gutempfang stets mit mir zieht,

Der mich zu laben sehr sich müht.

Und als der Ros' ich wieder nah',

Ich Etwas sie gewachsen sah,

Und sahe sie nun voller stehn,

Wie ich zuvor sie nicht gesehn.

Die Rose in die Breite schwoll,

Darüber ward ich freudevoll,

Doch stand noch nicht so breit sie da,

Daß man darin den Zapfen sah;

Er war verborgen noch im Schoße

Tief in den Blätterchen der Rose,[163]

Die schwollen da noch weit und breit

Und füllten ganz den Platz zur Zeit.

Sie war nun – Gott gesegne sie,

Gerade schön und recht allhie,

Und röther auch als vorher, jetzt.

Das Wunder mich gar sehr ergetzt,

Wie sie sich nun verschönt so sehr;

And Amor fesselt stets mich mehr,

Und zog stets enger seine Schling',

Jemehr ich Lust dabei empfing.

'Ne gute Weil' ich dorten blieb.

Und Gutempfang ward mir gar lieb,

Ward mir ein trefflicher Geselle,

Und da ich sah, daß er bestelle

Jedweden Dienst und jede Lust –

Um Etwas ich ihn bitten mußt',

Das gar sehr wohl zu nennen geht.


Herr, sagt' ich – wisset doch und seht,

Wie ich so sehr begehren muß,

Zu haben einen würz'gen Kuß

Von dieser Rose, die hier blüht.

Gefällt es Euch nun im Gemüth',

So bitt' ich um dies Geschenk Euch hoch.

Um Gott, Herr, allso sagt mir doch,

Ob Ihr wollt, daß ich küssen mag

So lang nur als es Euch behag'?[164]


Gutempfang.


Freund, sagte er, das glaubet mir

Wenn mich nicht Keuschheit abhielt' hier,

Wollt' ich Euch's nicht verwehret ha'n

Doch wegen Keuschheit geht's nicht an,

Mit der ich's nicht verderben mag,

Denn sie verbeut mir's alle Tag',

Daß ich das Küssen nicht gewähre

Auf keines Liebenden Begehre.

Denn wer nur einmal küssen kann,

Begnügt damit sich schwerlich dann.

Und wisst, daß wem es erst erlaubt

Zu küssen, sich dann leichtlich raubt

Das Beste, was noch liegt zur Hand,

Denn dessen hat er nun ein Pfand.


Der Liebende.


Wie ich nun diese Antwort hör',

Will ich ihn drängen auch nicht mehr,

Aus Furcht, den Zorn zu fachen an:

Man muß nicht drängen einen Mann

Mit Bitten bis zum Ueberdrusse.

Ihr wißt wohl, daß in einem Guße

Man sprenget nimmer Ketten auch,

Und daß der Wein nicht gleich im Schlauch',

So bald er sich der Presse fügt.

So hatt' ich meine Lust besiegt[165]

Zum Kuß, der so im Sinn mir liegt,

Doch Venus die da stets bekriegt

Die Keuschheit, kam zu Hilfe mir.

Des Amor Mutter ist sie schier,

Die Schutz schon manchem Liebsten gab.

Sie hielt gar einen lichten Stab

In ihrer Rechten, dessen Brand

Schon manche Fraue hat entbrannt.

Sie war so lieblich und so schön,

Als wie Göttinnen oder Fee'n.

Aus ihrem allzu prächt'gen Schmuck'

Da konnte sehen man genug,

Daß sie nicht mit den Frommen ging.

Ich kann erwähnen hier gering

Ihr Kleid und ihre Stickerei'n,

Und ihr vergoldet Mützelein,

Ihr Halsband und den Gürtel reich,

Denn es verweilet mich zugleich.

Doch dieses wisset nun fürwahr,

Daß sie gar schön und freundlich war,

Und ohne allen stolzen Hang.

Sie wandte sich an Gutempfang,

Zu welchem sie nun so begann.


Venus.


Warum doch thut Ihr, guter Mann,[166]

Jetzt so gefährlich gegen den?

Zu nehmen sich ein Küßlein schön,

Das darf ihm nicht gewehret sein.

Denn selber wißt Ihr gut und fein,

Er liebt und dient in Sitt' und Fug,

Auch ist er ja noch schön genug,

Daß er des Liebens wahrlich werth.

So seht doch, wie er wohlbewährt,

Wie schön und artig ist er dann,

Und höflich gegen Jedermann.

Und auch zu alt nicht ist er doch,

Ist ja so jung, was besser noch.

Da sind nicht Fräulein, sind nicht Frau'n,

Die mich nicht thäten schlecht erbau'n,

Wenn sie nicht würdigten ohn' Muß'

Zu reichen ihm gar süßen Kuß.

Es darf ihm werden nicht verwehrt,

Ein Kuß wird ihm mit Recht gewährt.

Er hat, das glaubt, gar süßen Hauch,

Und sind nicht schlecht die Lippen auch.

So scheint er ganz dazu ersehn,

Zu trösten und zu laben schön.

Die Lippen tragen rothen Schein,

Es sind die Zähne weiß und fein,

Und hat nicht Tadel, hat nicht Fehl.

Und Recht ist's, dies ist mein Befehl,[167]

Daß ihm ein Kuß nun sei gewährt,

Gestattet's ihm, wenn Ihr mich hört.

Denn wisst, jemehr ihr noch ansteht,

Um so mehr Zeit verloren geht.

Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 162-168.
Lizenz:

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