[160] Nach einer Sage
Der alte Müller Jakob sitzt
Allein beim Glase Wein.
Schwarzmitternacht, nur manchmal blitzt
Ein Wetterstrahl herein.[160]
Das Mühlrad saust, es braust der Wind;
Doch schlafen ruhig Weib und Kind.
Der Alte tut manch raschen Zug,
Er denkt an Zeit und Tod.
Wie draußen jagt des Sturmes Flug,
So jagen Lust und Not,
Die längst begrabnen, neuerwacht,
Ihm durch die Brust in dieser Nacht.
Die Tür geht auf, er fährt empor:
Wer kommt zu solcher Stund?
Ein Weidmann mit dem Feuerrohr,
Mit seinem Stöberhund,
Hahnfeder, Gemsbart auf dem Hut,
Das grüne Wams befleckt mit Blut.
Der Müller starrt, zurückgebeugt,
Dem Jäger ins Gesicht,
Sein Haar entsetzt zu Berge fleugt,
Sein Blut zum Herzen kriecht:
Der Raubschütz ists, der wilde Kurd,
Der jüngst im Wald erschossen wurd.
Der finstre Jäger an die Wand
Auf Jakobs Büchse winkt;
Der preßt sein Glas in zager Hand,
Daß es zu Scherben springt;
Gehorchend nimmt er sein Gewehr
Und schleicht dem Grausen hinterher.
Sie streifen in den Wald hinaus,
Nach süßem Wüdesraub;
Stets lauter wird der Winde Braus,
Der Pfade dürres Laub.
Der Jäger ruft voll heißer Gier:
»Komm, Bruder, jagen, jagen wir!«[161]
Sie ziehn fort fort im finstern Wald
Durch Strupp und Strom gar frisch;
Das Wild schrickt auf, die Büchse knallt,
Der Stöbrer im Gebüsch
Rauscht mit arbeitendem Geruch,
Der Jäger ruft: »Such, Hundel, such!«
Doch an des Walds geheimstem Ort,
Auf seinem liebsten Stand,
Wo jüngst die Kugel ihn durchbohrt
Aus meuchlerischer Hand,
Da bleibt er stehn und donnert: »Schau!
Hier schoß er mich wie eine Sau!«
Es ächzt der Wald im Sturm verzagt,
Vom Monde jetzt erhellt;
Der kühn gewordne Müller fragt:
Was ists in jener Welt?
Da murmelt trüben Angesichts
Der Jägersmann: »Es ist halt nichts!«
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro