An die Dichter meiner Zeit

Die Neuern sehen heller im Sittlichen,

Als einst die Alten sahn. Durch das reinere

Licht, diese reife Kenntnis, hebt sich

Höher ihr Herz, wie das Herz der Alten.
[168]

Drum dürfet ihr auch, wenns in den Schranken nun

Der Künste Sieg gilt, kämpfen beseelt vom Mut,

Dürft, wenn der Herold hoch den Lorbeer

Hält, mit den Kalokagathen kämpfen!


Viel Zweig' und Sprosse haben die Tugenden;

Zu jedem stimmen laut die Empfindungen:

Da grünet, blüht nichts bis zum hohen

Wipfel, das nicht in die Seele dringe.


Viel Zweig' und Sprosse hat auch die böse Tat;

Vor jedem schauern auf die Empfindungen:

Da welket, dorrt nichts bis zum hohen

Wipfel, das nicht in die Seele dringe.


Die mehr der Stufen zu dem Unendlichen

Aufstiegen, schauen höhere Schönheit. Er,

Das Sein, ward durch des Altertumes

Märchen entstellt, die von Göttern sangen.


Heiß ist, wie weit auch strahle der Kenntnis Licht,

Der Kampf ums Kleinod! Wem bei der Fackel Glanz

Nicht laut das Herz schlägt, froh nicht bebet,

Flieht, ist er weise, die Ebnen Delphi's.


Der ersten Zauberin in des Dichters Hain,

Darstellung heißt sie, weihet der, opfert ihr

Der Blüten jüngste! Diese Göttin,

Streitende, muß euch mit Huld umschweben.


Wenn Geist mit Mut ihr einet, und wenn in euch

Des Schweren Reiz nieschlummernde Funken nährt;

Dann werden selbst der Apollona

Eifrigste Priester euch nicht verkennen.


Denn ihnen winkt der amphiktyonische

Kampfrichter; sie sind seiner Gesetze, sind

Des eingedenk, daß in der Tafeln

Erste gegraben war: Keuscher Ausspruch!
[169]

Der Enkel siehet einst von Elysium

Achäas Schemen kommen, und (in dem Hain

Umweht es sie melodisch) euren

Sieg ihm verkünden mit edlem Lächeln.

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. München 1962, S. 166-170.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Oden und Elegien
Ausgewählte Oden und Elegien