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[25] Es gehet eine schöne Sage

Wie Märchenduft auf Erden um,

Wie eine süße Sehnsuchtsklage

In lauer Frühlingsnacht herum.


Das ist das Lied vom Völkerfrieden

Und von dem letzten Menschenglück,

Von goldner Zeit, die einst hienieden

Mit Glanz und Reinheit kehrt zurück;


Wo einig alle Völker beten

Zum einen König, Gott und Hirt –[25]

Von jenem Tag, wo den Propheten

Ihr ehern Recht gesprochen wird!


Nur eine Schmach wird's für der geben,

Nur eine Sünde auf der Welt:

Das ist das eitle Widerstreben,

Das es für Traum und Wahnsinn hält.


Wer diese Hoffnung hat verloren

Und böslich sie verloren gab,

Der wäre besser ungeboren,

Und ihm gebührt kein Menschengrab!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 25-26.
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