Verbirg Dein Antlitz nicht vor mir

[167] Herr! hab' ich Dir nicht Alles hingegeben,

Mein Lieben, Wollen, Denken und mein Sein?

Für Dich, mit Dir, in Dir nur will ich leben,

Nach Dir allein soll treu die Seele streben;

Wo Du ihr fehlst, kennt sie nur Nacht und Pein.


Um Dich hab' ich ein Mutterherz verlassen

Und Bruder, Schwester, Freund und Vaterland.

Ich ließ den vollen Freudenkranz erblassen,

Um Deine Dornenkrone zu erfassen.

O, laß mich nicht! O, gieb mir Deine Hand! –


Du spielst ein grausam Spiel mit meinem Herzen,

Verbirgst mir Deines reinen Lichtes Schein,

Und um mich her seh' ich das Leben scherzen,

Mir bietend tausend bunte Freudenkerzen –

O, laß mich nicht! In Dir ist Licht allein! –


Münster, 1819.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 167.
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