Der arme Wilhelm

[160] Siehe die Elegie auf ein Landmädchen.


Wilhelms Braut war gestorben. Der arme verlaßene Wilhelm

Wünschte den Tod, und besuchte nicht mehr die geflügelten Reigen,

Nicht das Ostergelag, und das Fest der bemaleten Eyer,

Nicht den gaukelnden Tanz um die Osterflamme des Hügels.

Einsam war er und still wie das Grab, und glaubte mit jedem

Tritt in die Erde zu sinken. Die Knaben und Mädchen des Dorfes

Brachen Mayen und schmückten das Haus, und die ländliche Diele,

Und begrüßten den heiligen Abend vor Pfingsten mit Liedern.

Wilhelm floh das Gewühl der beglückten fröhlichen Leute;

Wandelte über den Gottesacker, und ging in die Kirche,

Nahm den Kranz der geliebten Braut von der Wand, und kniete

An den Altar, und barg das Gesicht in die Blumen des Kranzes,

Flehte weinend zu Gott: »O entnim mich der Erde, mein Vater;

Ruf mich zu meiner Entschlummerten, doch dein Wille geschehe!"

Lispelnd bebte das Gold, und die Flitterblumen des Kranzes,

Lieblich rauschten die flatternden Bänder, wie Blätter im Winde,

Und ein fliegender Lichtglanz flog durch die Fenster der Kirche.[160]

Ruhiger wandelte Wilhelm nach Haus! Seine Schwestern hörten

Bald die Todtenuhr in der Kammer pickern; und sahen

Auf der Diele den Sarg, und den Pfarrer im Mantel daneben;

Und das Leichhuhn schlug an das Kammerfenster, und heulte.

Wenige Wochen, da starb der verlaßne trauernde Wilhelm,

Und sein grünendes Grab ragt hart am Grabe des Mädchens.
[161]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 160-162.
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