Hochzeitlied

[123] Wir singen und sagen vom Grafen so gern,

Der hier in dem Schlosse gehauset,

Da, wo ihr den Enkel des seligen Herrn,

Den heute vermählten, beschmauset.

Nun hatte sich jener im heiligen Krieg

Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg,

Und als er zu Hause vom Rösselein stieg,

Da fand er sein Schlösselein oben;

Doch Diener und Habe zerstoben.


Da bist du nun, Gräflein, da bist du zu Haus,

Das Heimische findest du schlimmer!

Zum Fenster, da ziehen die Winde hinaus,

Sie kommen durch alle die Zimmer.

Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht?

So hab ich doch manche noch schlimmer vollbracht,

Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.

Drum rasch, bei der mondlichen Helle

Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle.


Und als er im willigen Schlummer so lag,

Bewegt es sich unter dem Bette.

Die Ratte, die raschle, solange sie mag!

Ja, wenn sie ein Bröselein hätte![123]

Doch siehe! da stehet ein winziger Wicht,

Ein Zwerglein so zierlich mit Ampelenlicht,

Mit Rednergebärden und Sprechergewicht,

Zum Fuß des ermüdeten Grafen,

Der, schläft er nicht, möcht er doch schlafen.


»Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,

Seitdem du die Zimmer verlassen,

Und weil wir dich weit in der Ferne geglaubt,

So dachten wir eben zu prassen.

Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,

So schmausen die Zwerge, behaglich und laut,

Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.«

Der Graf im Behagen des Traumes:

»Bedienet euch immer des Raumes!«


Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor,

Die unter dem Bette gehalten;

Dann folget ein singendes klingendes Chor

Possierlicher kleiner Gestalten;

Und Wagen auf Wagen mit allem Gerät,

Daß einem so Hören als Sehen vergeht,

Wie's nur in den Schlössern der Könige steht;

Zuletzt auf vergoldetem Wagen

Die Braut und die Gäste getragen.


So rennet nun alles in vollem Galopp

Und kürt sich im Saale sein Plätzchen;

Zum Drehen und Walzen und lustigen Hopp

Erkieset sich jeder ein Schätzchen.

Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt,

Da ringelt's und schleift es und rauschet und wirrt,

Da pispert's und knistert's und flistert's und schwirrt;

Das Gräflein, es blicket hinüber,

Es dünkt ihn, als läg er im Fieber.
[124]

Nun dappelt's und rappelt's und klappert's im Saal

Von Bänken und Stühlen und Tischen,

Da will nun ein jeder am festlichen Mahl

Sich neben dem Liebchen erfrischen;

Sie tragen die Würste, die Schinken so klein

Und Braten und Fisch und Geflügel herein;

Es kreiset beständig der köstliche Wein;

Das toset und koset so lange,

Verschwindet zuletzt mit Gesange.


Und sollen wir singen, was weiter geschehn,

So schweige das Toben und Tosen.

Denn was er so artig im kleinen gesehn,

Erfuhr er, genoß er im großen.

Trompeten und klingender singender Schall

Und Wagen und Reiter und bräutlicher Schwall,

Sie kommen und zeigen und neigen sich all,

Unzählige, selige Leute.

So ging es und geht es noch heute.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 123-125.
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