Der Republikaner zu Paris am 7. August 1830

[395] (Nach Victor Strauß)


Schon ordnen sie den Zug im Trauerhaus;

Hier werden sie vorbei die Bahre tragen

Und langsam sich verlieren dort hinaus.

Und ich, versteckt, will scheue Blicke wagen – –

Ich darf, von seinem Blut die Hände rot,

Um meinen Toten nicht wie andre klagen.

Herz meines Herzens! Freund und Bruder! tot!

Ich habe dich, ich selbst dich umgebracht,

Der wehrlos mir die Brust entgegen bot.

Du Liebesstern in meines Grimmes Nacht,

Du bist erloschen, und in alten Bildern

Erscheint mir erst dein Licht in voller Pracht.

Wie sanft und kräftig lenktest du den wildern

Gefährten, bändigtest den Ungefügen,

Und wußtest seines Zornes Glut zu mildern!

Der Friede lag in deinen holden Zügen;

Wir waren, als wir ew'ge Treu uns schwuren,

Noch Kinder, und wir wußten nichts von Lügen.

Die feindlich widerstreitenden Naturen

Ergänzten sich zu wunderbarer Einheit;

Mitschüler nannten uns die Dioskuren.

O sel'ge Zeit der Unschuld und der Reinheit![395]

Noch boten eines Herzens wir zusammen

Dem Schlechten Krieg, Verachtung der Gemeinheit.

Beim Tacitus entlodert ich in Flammen,

Haß schwur ich den Tyrannen; fast erschrocken

Vermochtest du den Schwur nicht zu verdammen.

Ich seh dich schütteln deine blonden Locken, –

Ein Blick, ein Druck von deiner lieben Hand –

Und in die Gegenwart zurück mich locken.

Wir wuchsen auf, es wuchs in mir der Brand;

Es rief die Zeit mit grimmen Leidenschaften

Das Ungewitter, das bevor uns stand.

Du wolltest noch an morschen Trümmern haften,

Den Baum umklammern, welchen, schon verdorrt,

Dahin die gottgesandten Stürme rafften.

Da fiel das Wort, o das unsel'ge Wort!

Du hattest sonder Arg es ausgesprochen; –

»Herr Graf, wir sind getrennt!« so stürmt ich fort.

Ich war in meines Herzens Herz gestochen;

Du riefst mir nach mit ausgestreckten Händen:

»Was hab ich, Bruder, wider dich verbrochen?«

Nicht mocht ich rückwärts nach dem Ruf mich wenden

Ich schwieg und schritt hinaus: »sein adlich Blut!«

Ich schrie und rang, das Opfer zu vollenden.

Ich schweifte durch die Nacht, ich weinte Wut,

Und finstrer, als um mich die Schatten waren,

Und schauerlicher war mein kranker Mut.

Was da ich litt, du hast es jetzt erfahren,

Du wirst, verklärter Geist, versöhnlich sein,

Du bist ob meiner Liebe jetzt im klaren.

Der Morgen kam, er gab so trüben Schein;

Ich log mir vor, es sei nun überwunden,

Und stand verwaiset auf der Welt allein.

Ich habe nur noch einen Halt gefunden:

War selber mir das Leben leer und öde,

Plebejisch fühlt ich meines Landes Wunden.

Ich sah, wie nicht die Willkür sich entblöde,

Die gleichgebornen Menschen doch in Klassen

Zu teilen, diesem huldreich, jenem schnöde;

Ich sah die Ketten schmieden, durfte hassen;

Tyrannenhaß war meines Herzens Schlag

Und widerhallte mir aus allen Massen.[396]

Geduld! Geduld! und sieh, da schien der Tag!

Sie selbst, sie pflanzten auf den blut'gen Schild,

Zertretend mit den Füßen den Vertrag.

Da hab ich noch gelacht, laut, grimmig, wild,

Den letzten Kelch der Freude noch genossen,

Dann zu den Waffen! in das Blutgefild!

Rings wogte drohend schon das Volk, es schlossen

Die Haufen sich, zu richten und zu strafen;

Stolz überzählten sich die Kampfgenossen.

Und kommend, wo die Schlacht entbrannt war, trafen

Auf dich die Blicke, die den Feind begehrten,

Auf dich, ihr Oberhaupt, den stolzen Grafen.

In stummer Haltung standen die Bewehrten,

Mit blassem Antlitz, ohne Waffenlust,

Gehorchend dem, den sie als Führer ehrten.

Ich fiel dich an, du botest deine Brust

Mir dar, du riefst... – ich seh im Todeskrampf

Dich zucken, alles andern unbewußt.

Ich hab umsonst gesucht im heißen Kampf

Die innre Ruhe wieder zu erwerben,

Und lechzend mich berauscht in Blut und Dampf.

Vollendet ist das Werk, die Krone Scherben.

Wer gab um dich, o Freiheit, was ich gab?

Jetzt aber bin ich müd und möchte sterben.

Und – wehe, weh! – sie tragen ihn herab;

Die Mutter weint, der ich das Herz zerbrach. –

O Wilhelm, schlafe sanft im frühen Grab; – –

Wie noch der Unglücksel'ge solches sprach,

Das Schmerzensbild noch seine Blicke sogen

Und starrten straßenauf dem Zuge nach;

Ergossen straßenab sich Menschen-Wogen,

Die rufend, jauchzend, freud'gen Taumels voll,

Den Zug verdrängten und vorüber zogen;

Es war der Ruf, der aus dem Strom erscholl,

Der, wie des sturmerregten Meeres Tosen,

Betäubend laut und immer lauter schwoll:

»Hoch lebe, hoch! der König der Franzosen!«
[397]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 395-398.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte Und Versgeschichten
Peter Schlemihls wundersame Geschichte und ausgewählte Gedichte.
Chamissos Werke: Erster Teil: Gedichte
Gedichte: Ausgabe letzter Hand
Hundert Gedichte

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon