Nänie

[345] Ergo Quinctilium perpetuus sopor

Urguet? cui pudor et justitiae soror,

Incorrupta fides, nudaque veritas

Quando ullum inveniet parem?

Horat. od. I. 24, 5-8.


Starb der theure Mann von Ehre

Starb der Herr von Schafskopf doch!

Traun er lebt und schriebe noch,

Wenn er nicht gestorben wäre!


Staunen mußten selbst Minister,

Gab er ihnen Lehr und Rath.

Wo er falsch geweißagt hat,

War die Zukunft ihm zu düster.


Lob der Großen war der Angel

Den er aus nach Gelde warf.

Hatt' er, was ein Mensch bedarf,

Keines Dings dann spürt' er Mangel.


That er von den Gräueln schreiben,

Aufruhr, Propagand' und Mord,

Immer war sein kluges Wort:

Wahrlich das kann so nicht bleiben!


Trübt ihm Frankreichs Sieg die Stunden,

Gerne fuhr er aus aufs Land.

Niemals wenn er dort sich fand,

Ward er in der Stadt gefunden.


Auf dem Land auch nimmer müßig

Schrieb er selbst sich manchen Brief.

War das Schreiben apokryph,

So war Antwort überflüßig.


Fürsten die ihm hold gewesen,

Schrieb er noch, eh er entschlief.

Schrieb' er mehr im nächsten Brief,

Mehr auch hätten sie gelesen.
[346]

Dienerhaft und unerthänig

Trieb er mit der Wahrheit Spiel.

Sezt er eine Null zu viel,

So war keine Null zu wenig.


Sonder Grund ist man verwundert,

Daß sich Rum erschrieb der Tropf.

Hatt' er Ruhm, so hatt' er Kopf:

Wett' ich sieben gegen hundert.


Was er druckte, Text und Noten,

Machte manchem Schafskopf Spass.

Wenns der Censor gerne las,

Wards vom Censor nie verboten.


Seines Kopfes Widersacher

Tauft' er zu Rebellen um.

Ward wer lachen konnte stumm,

Minder wurden dann die Lacher.


Guten Wein und gutes Eßen

Fodert' er für seinen Tisch;

Bei Pasteten Austern Fisch

Kont er Grütz und Wurst vergeßen.


Welche Speise bläh und stopfe,

Wußt er auf ein Härchen auch.

Wars verstopft in seinem Bauch,

Dann wars nicht allein im Kopfe.


Arznei in kleinen Prisen

Nahm er selten nur und kurz.

Schnupft er öfter Niesewurz,

Oefter kam er dann zum niesen.


Weint und klagt, obgleich vergebens!

Klagt und weinet, wer es mag!

Seines Todes erster Tag

War der lezte seines Lebens.

Quelle:
Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert von Karl Weinhold, Halle 1868, S. 345-347.
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