Göckingk an Bürger

[229] Verdammte Versemacherei!

Was hast du angerichtet?

Uns unsers Lebens einz'gen Mai

Zum Kuckuck hingedichtet?


Gevatter Bürger! sagt einmal,

Sind wir nicht brave Thoren,

Daß wir, durch selbgemachte Qual,

Den schönen Mai verloren?
[229]

Was hat man von dem Dichten? Hum!

Vielleicht das bißchen Ehre:

Gekannt zu sein von Publikum? –

Ich dachte, was mir wäre!


Mag sein, daß man bei Tafel spricht,

Wann den durchlauchten Bäuchen

Die Zeit lang währt: Ist Bürger nicht

Amtmann zu Altengleichen?


Ein Fräulein thut dir wohl sogar

Die Gnad' und fragt nicht minder:

Trägt denn der Bürger eignes Haar?

Hat er schon Frau und Kinder?


Ein Amtsauditor geht, bepackt

Mit deinem Buch, zu Schönen

Und lieset, daß der Balken knackt

Und alle Fenster dröhnen.


Das hört denn ein Student und schreit:

»Und wohnt' er bei den Sternen!

Ich muß – ist Altengleichen weit? –

Muß Bürgern kennen lernen.«


Und eh' Herr Bürger sich's versieht

Kömmt mein Signor geritten,

Und Bürger, für sein herrlich Lied,

Muß ihn zum Essen bitten.


Da schlingt er nun den Truthahn ein,

Den du mir aufbewahrtest,

Und trinkt, – hol' ihn der Fuchs! – den Wein,

Den du für mich erspartest.


Er rühmt dir baß sein gutes Herz,

Will Freundschaft mit dir treiben,

Und droht sogar – o Höllenschmerz! –

Recht oft an dich zu schreiben.


Das macht: Manch ehrliches Journal

Ließ laut dein Lob erschallen;

Allein, wann las denn wohl einmal

Herr Bürger Eins von allen?


Und ließ' ich dich in Kupfer, schier

Von Bausen selber, stechen:

Hilft dir es etwas, wenn von dir

Die Leut' ein Weilchen sprechen?
[230]

Was hast du von dem allen? Sklav!

Wenn ich's zusammenpresse,

Was ist es, als: Despotenschlaf

Und Inquisiten-Blässe?


Hör' auf! Ich gab mein Herz dir hin,

Eh' du ein Blatt geschrieben;

Hör' auf! Und die Frau Amtmannin

Wird dich noch lieber lieben.


Hör' auf! Als Dichter kennt man dich,

Als Mensch lebst du verborgen;

Kein Christenkind bekümmert sich

Um alle deine Sorgen.


Ja! solltest du auch den Homer

In Jamben übersetzen,

Drob werden dich kein Haarbreit mehr

Die Herrn Minister schätzen.


Du würdest dennoch nach wie vor

Amtmann zu Gleichen bleiben;

Drum, trauter Bürger, sei kein Thor,

Und trinke, statt zu schreiben.


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 229-231.
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